Vorlesung Karl Kraus. Wien, 1922.12.04
Preis des Programms (Verlag Richard"" Länyr)™25Ö0 Kronen (inkl. Steuer)? [Der Ertrag des Programms für den wohltätigen Zweck.]
KLEINER KONZERTHAUSSAAL, MONTAG, 4. DEZEMBER 1922, 7 UHR
VORLESUNG KARL KRAUS
Zum ersten Male
WEDER LORBEERBAUM NOCH BETTELSTAB
Parodierende Posse mit Gesang in drei Abteilungen von JOHANN NESTROY
Musik von Mechtilde Lichnowsky
Orundel, ein reicher Seifensieder
Blasius, sein Sohn
S t e i n r ö t e 1, ein Fabrikant
Agnes, seine Tochter
Chrisostomus Überall
Ein Theaterdirektor
Personen der ersten Abteilung
DAS PRÄSENT
Fräulein Putz
Fräulein Migräne
Charlotte, Stubenmädchen bei Steinrötel
Leicht, ein Dichter
Therese, seine Frau
Herren und Frauen als Oäste bei Steinrötel
(Die Handlung spielt in Wien.)
Personen der zweiten Abteilung
DER HOCHZEITSTAG
Erster
i r s t e r ■>
[weiter /
Gast
Orundel
Blasius
Steinrötel
Agnes
Charlotte
Leicht
Chrisostomus Überall
Druck, Buchhändler
C i c h o r i, Kaffeesieder
Herr von Scharf
Herr von Billig
(Die Handlung spielt in Wien, um ein Jahr später als die vorige Abteilung.)
Personen der dritten Abteilung
DIE LANDPARTIE
Ein Marqueur
Qottfriedel, ein Kupferschmiedlehrjunge
Klopfer, ein Spengler
Ein Wächter
Gäste und Marqueure im Kaffeehaus, Wächter,
Herren und Damen bei der Hochzeit, Dienst-
leule beiderlei Geschlechts bei Steinrötel
Blasius Grunde!, ein reicher Seifensieder
Agnes, seine Frau
Johann, "1 .
Julie, /'
Chrisostomus Überall
ihre Kinder
Mischer, Wirt in der Brühl
Leicht, unter dem Namen: der damische
Hansel, ein Harfenist
Kellner und weibliche Dienstleute in Mischers
Gasthause, Oäste, Landleute beiderlei Geschlechts
risuäiumus uuciaii vjasuiausc, vjasic, lcuiuiciuc ueiuciicujesciucciHS *
(Die Handlung spielt in der Brühl, um zwanzig Jahre später als die zweite Abteilung.) 'V^ft^^'a^^V^''"
Die erste überaus erfolgreiche Aufführung der Parodie
hat am 13. Februar 1835 stattgefunden ; sie dürfte aber bald
nach dem Original Holteis und nach dessen Gastspiel in der
Rolle des Dichters Heinrich vom Wiener Repertoire verschwunden
sein. Freilich hat Holteis »Lorbeerbaum und Bettelstab« wie jede
solche Schablone für schauspielerisches Pathos gelegentlich noch
große Darsteller und Virtuosen, von Emil Devrient bis Haase und
Sonnenthal, angezogen und sich auch in der Provinz erhalten.
Wenn man heute als Leser die Wahl hat, dieses Rührstück eines
der bravsten Menschen und schlechtesten Musikanten jener
Literaturepoche oder die Nestroy'sche Posse für eine Parodie zu
halten, so würde man glauben, jenes sei sie. Nicht mit Unrecht
sagt ein Monograph, daß Nestroys Dichter Leicht »weniger eine
Karikatur des Originals als vielmehr ein bis ins Zynische
getriebenes Gegenstück« sei. Nestroy hat dem Jammerlappen,
dessen »Genie« darin besteht, daß er es behauptet und gegen
die Banälität einer undankbaren Welt mit seinem banaleren Begriff
von Poetentum und mit unleidlicher Schönrednerei auftrumpft,
ganz bewußt seinen resoluten Theaterhandwerker und späteren
Harfenisten entgegenstellt und die Beziehung auf die Vorlage
eigentlich nur in der gesellschaftlichen Reduzierung des Milieus
durchgeführt. »Wollen Sie mich foppen ? Oder halten Sie mich
wirklich für so dumm? Bis zum Lorbeer versteig' ich mich
nicht. G'fallen sollen meine Sachen, unterhalten, lachen sollen
d' Leut', und mir soll die G'schicht a Geld tragen, daßjch auch
lach', das ist der ganze Zweck. Q'spaßige Sachen schreiben und
damit nach dem Lorbeer trachten wollen, das ist grad so, als
wenn einer ein' Zwetschgenkrampus macht und gibt sich für einen
Rivalen von Canova aus.« Wenn diese berühmt gewordenen Worte
des Leicht wirklich ein Selbstbekenntnis seines Autors waren, so
kotinte Nestroys Bescheidenheit, der man zwar die künstlerische
Geringschätzung des eigenen Wirkens, aber nicht dessen materielles
Motiv glaubt, nur von seinem Genie übertroFfen und berichtigt
werden, das sich auch im Dialog dieses unbekannteren Werkes
nicht verleugnet. Die Figuren sind ganz losgelöst von ihrer
Beziehung verständlich, zumal der dem weltgewandten »Chevalier«
Holteis kontrastierte Herr Überall, der grundsätzlich nur nach
Fischamend reist und alle Geschehnisse aus der Perspektive
dieses Ortes betrachtend, das Urbild eines geradezu liebenswerten
Idiotismus darstellt. Der Vortrag, in dem nur wenige saloppe oder
ungenau überlieferte Versstellen veränderrund die zwei Couplet¬
strophen des Herrn Überall um eine Zusatzstrophe vermehrt
sind, wurde durch die Entstehung der Begleitmusik angeregt,
die gleich dem Entree in den »Schlimmen Buben in der Schule«
und den andern Kompositionen Mechtilde Lichnowskys zu
Nestroy (namentlich im Lied der Agnes, des Fischamend-Narren
und in den drei Harfenistenliedern) ein Wunder der Einfühlung
bedeutet und eine verschollene Zeitstimmung so wiederherstellt,
daß man sich die verschollene Originalmusik gar nicht anders
und nicht zeitechter denken könnte.
Die Hälfte des Ertrags als Ehrengabe an Frau Stephanie
für die »Vereinigte In- und Auslandshilfe für tuberkul
fürsorge, Wien, XVIII, Glanzinggasse 37), die Aktion »Wi
__ Amtshaus) und
Nestroy, die Schwiegertochter des Dichters; die Hälfte
Öse Kinder« (Reichsanstalt für Mutter- und Säuglings-
nterkleider für Schulkinder« (I., Raihausstraße 6, neues
Notleidende.
24., 25., 27., 28., 29., 30. Januar: NESTROY-ZYKLUS. Der volle Ertrag für wohltätige Zwecke.
26. Januar, 7 Uhr, Kleiner Konzerthaussaal: MECHTILDE LICHNOWSKY, Aus eigenen Werken.
volle Frtrag für wohltätige 7wf»rkp >
(Der