Arnold, Robert Franz: Brief an Franz Karl Ginzkey. Wien, 16.6.1916
Wien 16. 6. 16
Verehrter Meister!
Die „Lieder“, aus Ihrer Hand doppelt willkommen,
habe ich mit tiefer Bewegung gelesen. Bitte das nicht
für eine Redensart zu halten. Und diese Bewegung
bewirkten nicht allein die wunderbare Wortmusik,
die schlichte Schönheit des Stils, die hinter jedem
Vers erkennbare reine und edle Persönlichkeit des
Dichters – sondern auch ein ganz subjektives Mo-
ment. Selbst auf die Gefahr, unbescheiden zu erscheinen,
bekenn ich stolz, daß ich in den „Liedern“ gar vielem
Ausdruck und Form verliehen sehe, was, mit Goethe zu
reden, durch das Labyrinth der eignen Brust gewandelt
ist und freilich von selbst niemals Ausdruck und
Form gewonnen hätte. Wir sind eben, mögen auch
unsre Lebenswege so verschieden beleuchtet sein
wie bei Tag und bei Nacht, doch immer
Land-, Zeit-, Bildungs- und Altersgenossen –
und da kann es nicht fehlen, daß viele Saiten
im Herzen des müden, zuschanden gerackerten,
verbitterten Gelehrten mitschwingen, wenn gleich-
gestimmte in den Liedern des gegenwarts- und
zukunftsfrohen Sängers anklingen. Am auf-
fälligsten war mir dies Mitschwingen bei den wunder-