Bahr, Hermann: Brief an Richard von Kralik. Salzburg, 30.6.1916
30.6.16
Sehr verehrter Freund!
So viel Teilnahme, Förderung und Wolwollen mich auch immer auf meinem Weg begleitet hat, so
viel geistige Hilfe, Führung, Stärkung ich auch gerade von Ihnen selbst schon erfahren habe (gar
was Sie vor vielen Jahren einmal über den "Franzl" schrieben, hat mein Gedächtnis dankbar aufbe-
wahrt!), das was mir heute beim Lesen Ihres Aufsatzes in der gestrigen "Reichspost" geschah, war mir doch
ein ganz neues Erlebnis: ich habe die tieftste, nicht anders kann ichs nennen als: Rührung empfunden.
Seit dem blutjungen Wicht vor fast dreißig Jahren des steinalten Ibsen eigene Hand einen gütigen
Brief schrieb, hat mich keine Anerkennung so tief im Herzen beglückt, ich empfand eine ganz
geheimnisvolle, bis an meine Wurzeln reichende Berührung jenes unaussprechlichen letzten
Verstehens, dessen nur die Caritas fähig ist, das nur vermag, wer die Gabe hat, Mitmenschen
einfühlend inne zu wohnen, mit Mitmenschen mystisch so vereint zu sein, daß er ihre Gedanken
zu denken, ihre Gefühle zu fühlen und daher von ihnen mehr weiß als sie selbst. Ich empfinde
dadurch eine Beziehung von mir zu Ihnen hergestellt, die sich mit Worten durchaus nicht mehr
ausdrücken läßt und die ich kaum anders auch nur anzudeuten vermag, als wenn ich vielleicht
nicht ganz passend sage, sie scheine mir fast etwas Sakramentales zu haben.
Vielleicht wird mir das Kraft geben zu Großem, das ich vorhabe. "Himmelfahrt" zeigt einen, der