Bahr, Hermann: Brief an Unbekannt. o.O., 14.3.1928
14. 3. 28
Sehr geehrter Herr Dr!
Keiner meiner Romane ist ein Schlüsselroman, es wider=
strebt mir durchaus nach Modellen zu arbeiten. Mir
kommt es immer nur darauf an, Typen zu gestalten. Keine
meiner Personen "entspricht der Wirklichkeit", jede soll
eine Idee, ein eidos (das Wort im platonischen Sinne
gebraucht) zur Erscheinung bringen. Ich will die "Idee"
der großen Schauspielerin an der Rahl ausdrücken und da
die Wolter auch ein Ausdruck der großen Schauspielerin war,
ist es nicht wunderlich, wenn die beiden einander ähnlich sehen.
So mag Höfelind zuweilen Klimt ähnlich sehen, aber
daß Sie in ihm den Maler Rahl erkennen wollen, ist mir
unverständlich. Wirkliche Menschen kommen für meine Romane
höchstens bisweilen (sehr selten!) zum Anreiben mit Farben in
Betracht.
In aufrichtiger Verehrung
Hermann Bahr