Berg, Alban: Brief an Johanna Berg. Wien, 20.6.1925
An Mama Berg
Post Söllhuben bei Rosenheim
Oberbayern, bei von Klenau 20.6.1925.
Dir zuliebe,liebste Mama,will ich Alles tun! Also auch dieses bodenlose
Unrecht stillschweigend und ungesühnt hinnehmen.Und will dabei die Schuldfrage
ganz beiseite lassen.Denn dadurch,daß ich monatelang und auch die Jahre vorher
schwieg,mich höchstens zu entschuldigenden Erklärungen veranlassen ließ und
nie zu Angriffen( zu denen wahrlich Anlaß war und ist) und jedwede Szene von
meiner Seite aus vermied -- -- --,während die Gegenseite gerade ganz ver-
kehrt (umgekehrt) vorging (statt auch nur eines Wortes der Entschuldigung,nur
immer wieder neue Angriffe,ja frische Gemeinheiten! --die letzte: Mein Besuch
bei Dir in Küb,d.h.also die erste und einzige Gelegenheit zu ergreifen,seine
Mutter,nach monatelanger,unverschuldeter Trennung,endlich einmal,auf ein paar
Stunden zu sehen,in Frieden zu plauschen,sich gegenseitig das Herz auszu-
schütten,in ungetrübtem Beisammensein,und dies ungeachtet an Zeit und Opfern,
Geld und Strapazen -- -- eine solche,nur aus den reinsten Beweggründen der
Kindesliebe hervorgehende Handlung,als einen Akt absichtlicher und boshafter
Brüsquierung anderer Personen hinzustellen,die in diesem speziellen Fall
keine andere Rolle spielen,als
die des anonymen Hausherren,den man nicht treffen will und kann,--
-- ein Vorgehen,auf solche perfide Weise meine reinsten Absichten zu verdrehen
Gutes in Schlechtes zu verwandeln,aus Weiß Schwarz zu machen -- kann man auch
unter "gebildeten Menschen" nur als eine Gemeinheit bezeichnen!)-- --dadurch
ist diese Frage der Schuld auf ein ganz falsches Geleise gebracht worden.Das
beweist auch jede Zeile Deines Briefes.Ich könnte ihn vor aller Welt wider-
legen:aber bedenke,liebe Mama,daß ich die kurze Zeit dieser letzten Zuflucht
für meine Sommerarbeit,an der ich täglich von 5 Uhr früh an sitze,nicht mit
dieser leidigen Angelegenheit vergeuden will.Nächte hat es mir ohnehin schon
genug gekostet.--
Wenn ich mich dennoch entschlossen habe,"einen Strich darunter zu machen",
so geschieht es nicht nur --wie wir bisher annahmen --um unsern Verkehr,wenn
Du wieder in Wien bist,zu ermöglichen (was ich auch erzwungen hätte,wenn ich
auch weiterhin den beiden Frauen May und Smaragda,ausgewichen wäre;beteuerte
ich Dir doch schon des öftern,daß ich Dich,wennDu wieder in Wien bist,auch
wenn Du Dich dem Teufel verschreiben würdest,zu finden wüßte)....es geschieht
auch, um Dir,liebe Mama,den häuslichen Frieden (soweit er von mir aus tangiert
werden kann) zu sichern,d.h.um Dir die Krache und Szenen zu ersparen,deren,
nachdem sie nicht auf mich niedergehen können,nun Du teilhaftig wirst.Ich
verspreche Dir also,liebe Mama,daß ich --mit Hintansetzung aller persönlichen
Empfindlichkeit und Neigung,allen Stolzes und heiligen Zornes,ja allen Rechts-
gefühls -- Dir zuliebe bereit bin,alles zu tun,um den von Dir ersehnten Zu-
stand herbeizuführen.Augenblichklich sind wir ja,durch die diversen Sommerauf-
enthalte ohnehin zur (räumlichen) Trennung verurteilt;im Herbst,bezw.Winter