Bauer, Leopold: Brief an Moritz Benedikt. Wien, 12.12.1916
tgegen, Sie wird wohl nicht so schnell kommen, als Viele glauben,
och erleben wir der großen Umwälzungen so viele, dass dieser Glau-
be berechtigt sein mag. Der Brand von Europa, der Tod eines lang
regierenden Kaisers, ein neuer junger Kaiser: ein Zusammentreffen
so vieler bedeutender Ereignisse hat unser Staat in seinem vielhun-
dertjährigen Bestande nie erlebt. Ich will nicht verhehlen, dass
ich mir Manches , was über Baukunst geschrieben werden sollte,bis
zu einem gewissen Grade auch als Apostrophierung des neuen Herr-
schers de nke; und warum soll man nicht hoffen und träumen, dass
ein Großer und Mächtiger auch wieder einmal die Absicht haben soll-
te, auf dem Gebiete der Kunst Gutes und Schönes entstehen zu las-
sen und zu fördern. Wir dürfen uns in diesem Glauben durch Beispie-
le aus der Geschichte nicht irre machen lassen. Denn ebenso oft
oder sogar noch öfter ist die Kunst durch Einwirkung eines Machtha-
bers gefördert als geschädigt worden. Es kommt viel auf
ie Zeit und auf die Künstler an, die in solchen Momenten zur Ver-
fügung stehen.
Ich erhof e und erwünsche mir von Ihrer Seite eine Würdi-
gung meiner ehrlichen Absichten; eine Aussprache dürfte die Ange-
legenheit noch wesentlich klären. Es wäre mir ein großes Vergnü-
gen Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen,wenn Sie so liebenswürdig wären
mir dazu Gelegenheit zu geben.
Mit dem Ausdrucke vorzüglicher Hochachtung bin ich
Ew.Hochwohlgeboren ergebenster
Leopold Bauer m.p.