Coudenhove-Kalergi, Marietta von: Brief an Max von Millenkovich. Morava, 26.7.1930
Lipnik . Morava 6. Sl. Rp.
26/VII 30
Lieber Herr Hofrat!
„Mit Lachen u. Weinen“, mit sich immer
steigerndem Interesse habe ich nun Ihr Buch
zu Ende gelesen ! Es ist etwas ganz Grosses das
Sie damit der Welt gegeben haben, und es ist
wundervoll wie Sie das unerschöpfliche Thema
von neuen, uns Österreichern vertrauten Gesichts-
punkten behandelt haben. Sehr entzückt war
ich, dass Sie „furchtlos u. frei“ die Sünden
Wiens im Besonderen, u. Österreichs im Allge-
meinen so sachlich u. vorurteilslos schildern, und
die Leiden erwähnen: „dass das Unzulängliche hier
niemals Ereignis werden will.“ Allerdings haben Sie
bei Feststellung dieser Tatsache, welche Sie in Bezug
auf den Meister mit unzähligen Beispielen belegen,
mit keinem Wort eine Erklärung für sie gegeben
(das zu thun würde sich lohnen, wenn es auch
nicht in den Rahmen des Wagnerbuches gehört) -
Die Einstellung Wahnfrieds zu Wien, - die mich
oft ganz aus dem Häusl bringt, - lernte ich durch