Engelsmann, Alfred: Brief an den Verlag Die Fackel. Wien, 27.6.1929
Wien,am 27.Juni 29.
Hochgeehrter Herr König !
Gestatten Sie,dass ich zu der,von Ihnen angeregten Aktion für
Karl Kraus eine Anregung gebe.Zunächst nehmen Sie aber meinen herzlich-
sten Dank für Ihr Hervortreten und die wahrhaft schönen Worte an,die
Ihnen die angefachte Empörung und die Ergriffenheit des Momentes einge-
geben haben.Auch ich hätte,wie wohl viele andere,das Bedürfnis gehabt,
aufzustehen und zu sprechen,aber eine falsche Scham und psychische
Hemmungen,wie das Bewusstsein,dass ich weder auf schriftstellerischem
Gebiet, noch vor einem öffentlichen Forum und schon gar nicht nach
Karl Kraus,etwas zu suchen habe,haben mich davon abgehalten.Diese
segensreichen Hemmungen verdanke ich nebst einer natürlichen Veranlagung
in erster Linie Karl Kraus;nur haben sie sich leider auch dort als
unüberwindlich gezeigt,wo es am Platze gewesen wäre,sie auszuschalten.
Die Anregung,die ich geben möchte,bezieht sich auf die Art der
Durchführung Ihrer Aktion,bei der Sie aus Gründen,die mir nicht klar
sind,einen grossen Teil der Hörerschaft durch eine nach meiner Ansicht
nicht begründete Beschränkung ausgeschaltet haben,nämlich durch die
Bedingung,dass nur organisierte Sozialdemokraten teilnehmen können.
Nun ist ein grosser Teil der Hörerschaft,wie auch ich,wohl oder übel
sozialdemokratisch,nämlich als Wähler,ohne jedoch die Nötigung gefühlt
zu haben,sich gerade organisieren zu lassen.Auch diesen steht ein
Protestrecht als Wähler zu,und sie sind als solche durchaus zu einer
Kundgebung legitimiert.Meine Anregung bezieht sich somit auf die
Einbeziehung der nichtorganisierten sozialdemokratischen Hörerschaft
in Ihre Aktion, oder besser auf eine Parallelaktion dieser.Die Kundgebung
könnte dadurch nur an Eindrucksfähigkeit gewinnen,obgleich sich wohl
die meisten von uns darüber klar sind,dass der unmittelbar praktische
Wert jeder,auch der mächtigsten Kundgebung,problematisch bleibt.
Wie immer sie auch ausfällt,und was immer sie auch für einen Erfolg
bringt,wird sie aber als Zeitdokument für die Teilnehmer und gegen die