Berg, Alban: Brief an Adolf Loos. o.O., 1.12.1928
1.12.28
Alban Berg, Wien,XIII.
Trauttmansdorfgasse 27
Verehrter und geliebter Adolf Loos, man hat es
für nötig gefunden, ein Urteil, dessen es - von der ersten Mi-
nute jener Weltblamage an - für jeden anständigen und sittli-
chen Menschen nicht bedurft hat, dennoch zu fällen.Man wollte
damit anscheinend dartun, ja vielleicht gerade dokumentieren,
dass die Kluft zwischen der Welt jener anständigen Menschen
und der aller Anderen nicht - und nie und nimmer überbrückbar
ist.
Und das ist gut so! Denn es wäre fast unlogisch,
- das heisst - gegen jede höhere Ordnung des Verstandes, - dass
sich gerade in diesem Gebiet eine Gemeinsamkeit der Anschauun-
gen und der daraus entsüringenden sogenannten " Gesetze " finden
sollte, wo sonst in allen anderen Distrikten der Seele, des
Geistes und des Leibes tiefster Widerspruch zwischen jenen und
den höheren Gesetzen herrscht und für alle Zeiten herrschen wird.
( Die Waffe, die man gegen Ihr gütiges und grosses Menschen- und
Künstlerherz gerichtet hat, ist schliesslich dasselbe Messer,
das sonst beim Essen durch den Mund gezogen wird).
Bedarf es aber noch eines Beweises, dass mit jener
" Verurteilung " nichts anderes dokumentiert wurde, als die
reinliche Scheidung der sittlichen Menschen von allen Anderen,
so ist es die " dreihährige Bewährungsfrist", die man wagt,
einem Adolf Loos zuzubilligen, der sich fast zwanzig Mal drei
./.