Börner, Wilhelm: Brief an Elise Richter. Wien, 6.12.1928
Lebensmüdenstelle der Ethischen Gemeinde.
Wien, III., Obere Weißgärberstraße Nr. 2.
Beratung täglich von 6 bis 8 Uhr abends.
Wien, 6. Dezember 1928.
An die geehrten Mitglieder des Wiener Goethe-Vereines!
Seit längerer Zeit befasst sich die Lebensmüdenstelle mit
einem verzweifelten Manne, namens Theodor Hermann Goethe.
Er war Sekretär einer Krankenkasse, wurde wegen Auflösung der Orts-
gruppe, bei der er amtierte, abgebaut und ist jetzt wirtschaftlich
und seelisch am Rande seiner Kraft. Wir bemühen uns schon seit Mona-
ten, diesem sehr bedauernswerten, gebildeten, äusserst sympathischen
Manne eine Stelle zu verschaffen. Bisher ist es uns jedoch nicht ge-
lungen. Wie aus dem uns vorliegenden Stammbaume ersichtlich, ist
Herr Goethe mit dem Dichter insoferne verwandt, als beide einen ge-
meinsamen Ahnen in der Person des Hans Goethe, gest. 1686 haben.
Es handelt sich nun darum, Herrn Goethe und seine Familie
so lange wirtschaftlich über Wasser zu halten, bis er wieder einen
Verdienst hat. Da wir überzeugt sind, dass Sie als Mitglied des
Wiener Goethe-Vereines aus rein menschlichen Gründen und zugleich
aus Gründen der Pietät gewiss für das furchtbare Schicksal des