Lieber Herr Professor, bitte scheuen Sie sich keinen Augenblick
zu sagen: "es taugt nicht", dann versuche ich es nach Ihren
Ratschlägen anders. Ich habe auch keine Ahnung, wie lang
ein Artikel sein soll. Außerdem bitte ich recht herzlich, nicht
selbst zu übersetzen, Sie bringen mir schon allzuviel Opfer,
sondern mein Honorar mit einem bestellten Über-
setzer zu teilen. - Nochmals Gablonz: die czechische Krone
notierte gestern, laut "N. F. Presse" 188.15, der belgische
franc 820 öst. Kronen. /Laib Brot hier 850 Kronen!)
Dass aus meinen Briefen die Schatten auf meiner
Seele zu erkennen sind, wundert mich sehr und entspricht
nicht meiner Absicht. Da Sie es aber erkennen, will ich
nicht leugnen, wenn ich auch hier mit Niemand darü-
ber spreche, daß Sie Recht haben. Meine persönliche Lage
macht mir keine Sorge, mein ausgefülltes Leben in meinem
stillen Winkel würde mir auch ganz genügen. Aber was
ich täglich an Jammer höre, lastet schwer. Aus meinem
Gesellschaftskreis in den letzten Wochen 3 oder 2 Mal nicht nur
der Wunsch nach dem Tod, sondern die Drohung des "ein
Ende machen" - darunter zwei Urkatholikinnen. Au-
ßerdem habe ich um Solche, an denen mein Herz hängt so
schweren, hülflosen Kummer, daß ich ihn gar nicht ausspre-
chen könnte! Also verzeihen Sie mir, es ist meine
alte Erfahrung, daß meine Feder sich viel weniger beherrschen
kann, als mein Wesen. - Mein Abrißkalender zeigt gestern:
"Liebe macht blind". Ich glaube mein Mann hat Recht, wenn
er dies falsch findet: "Die Liebe macht selig, der Glaube macht
blind" sagte er. Ja, aber so elend wie die Liebe kann auch nichts
auf Erden machen. - Ein kleines Beispiel von unsinnigem Anti-
semitismus. Ein hiesiges Wochenblatt suchte neulich zu beweisen,
daß Goethe jüdischer Abstammung war! Merkwürdig ist Fontane's
den ich sehr hoch schätze, Stellung gegen die Juden, man wird
nicht recht klug daraus, merkwürdig auch seine Stellung zu
Goethe - ich weiß sonst keinen bedeutenden Deutschen , der ihm nicht
bedingungslos Gefolgschaft leisten würde. Daß er von Storm
sagt: "der bedeutendste Lyriker seit Goethe" stimmt mit meiner
Überzeugung. Quantitativ ist Storm arm. Kennen Sie Hopfen's,
Fontane's, Strachwitzens Gedichte? So, jetzt bin ich doch in's
Plaudern geraten, aber "Die Mitternacht rückt näher schon."
[oben:] Mit vielen herzlichsten Grüßen an Sie, Ihre liebe Frau
Gemahlin und den billig gekauften Wilhelm - was würde
er jetzt hier kosten ! - Ihre OF.
zu sagen: "es taugt nicht", dann versuche ich es nach Ihren
Ratschlägen anders. Ich habe auch keine Ahnung, wie lang
ein Artikel sein soll. Außerdem bitte ich recht herzlich, nicht
selbst zu übersetzen, Sie bringen mir schon allzuviel Opfer,
sondern mein Honorar mit einem bestellten Über-
setzer zu teilen. - Nochmals Gablonz: die czechische Krone
notierte gestern, laut "N. F. Presse" 188.15, der belgische
franc 820 öst. Kronen. /Laib Brot hier 850 Kronen!)
Dass aus meinen Briefen die Schatten auf meiner
Seele zu erkennen sind, wundert mich sehr und entspricht
nicht meiner Absicht. Da Sie es aber erkennen, will ich
nicht leugnen, wenn ich auch hier mit Niemand darü-
ber spreche, daß Sie Recht haben. Meine persönliche Lage
macht mir keine Sorge, mein ausgefülltes Leben in meinem
stillen Winkel würde mir auch ganz genügen. Aber was
ich täglich an Jammer höre, lastet schwer. Aus meinem
Gesellschaftskreis in den letzten Wochen 3 oder 2 Mal nicht nur
der Wunsch nach dem Tod, sondern die Drohung des "ein
Ende machen" - darunter zwei Urkatholikinnen. Au-
ßerdem habe ich um Solche, an denen mein Herz hängt so
schweren, hülflosen Kummer, daß ich ihn gar nicht ausspre-
chen könnte! Also verzeihen Sie mir, es ist meine
alte Erfahrung, daß meine Feder sich viel weniger beherrschen
kann, als mein Wesen. - Mein Abrißkalender zeigt gestern:
"Liebe macht blind". Ich glaube mein Mann hat Recht, wenn
er dies falsch findet: "Die Liebe macht selig, der Glaube macht
blind" sagte er. Ja, aber so elend wie die Liebe kann auch nichts
auf Erden machen. - Ein kleines Beispiel von unsinnigem Anti-
semitismus. Ein hiesiges Wochenblatt suchte neulich zu beweisen,
daß Goethe jüdischer Abstammung war! Merkwürdig ist Fontane's
den ich sehr hoch schätze, Stellung gegen die Juden, man wird
nicht recht klug daraus, merkwürdig auch seine Stellung zu
Goethe - ich weiß sonst keinen bedeutenden Deutschen , der ihm nicht
bedingungslos Gefolgschaft leisten würde. Daß er von Storm
sagt: "der bedeutendste Lyriker seit Goethe" stimmt mit meiner
Überzeugung. Quantitativ ist Storm arm. Kennen Sie Hopfen's,
Fontane's, Strachwitzens Gedichte? So, jetzt bin ich doch in's
Plaudern geraten, aber "Die Mitternacht rückt näher schon."
[oben:] Mit vielen herzlichsten Grüßen an Sie, Ihre liebe Frau
Gemahlin und den billig gekauften Wilhelm - was würde
er jetzt hier kosten ! - Ihre OF.