Lieber Freund!
Ich habe das Ergebnis deiner Nachforschungen an meine Frau w
weitergegeben. Vielen Dank.Die Anfrage ging nicht von dem Betreffenden
selbst aus, sondern von einer Musikalienhandlung in Weimar.Die Sache
ist ja nun insofern erledigt, als die U. E. durch dich jetzt avisiert
ist und die Leute selbst anfragen werden.- Dein Besuch und die damit
verbundene Herzens - und sonstige Erleich terung hat mir sehr wohl ge-
tan. Hoffen wir, dass was wird.
Nun zu Deiner Oper. Zunächst Glückwunsch. Die Dia - und Pro-
gnose meines vorigen Briefes zu wiederrufen oder abzuändern, finde ich
keinen Anlass. Das soll nicht heissen, dass ich mit dem Text nicht ein
verstanden wäre. Im Gegenteil. Besonders erfreulich scheint mir die se
sehr lebendige Unbekümmertheit, die übrigens nichts von der manirierten
Umkrempelungswut unserer Zeitfanatiker an sich hat, dem Historischen
gegenüber.Nicht in dem engeren Sinne, der die Verwendung der Fabel be-
betrifft- dazu habe ich einiges auf dem Herzen - sondern hinsichtlich
des Gesamtstiles. Denn gerade dieser Stoff und dieses Milieu sind seit
dem Klassizismus auf einen bestimmten Stil festgelegt, dessen Prinzi-
pien sich von Goethe und Hoffmannsthal inm Wesentlichen eigentlich noch
nicht verändert haben. Du hast mit Recht und im grossen Ganzen mit Glück
oder Erfolg Dir einen prinzipiell anders gearteten Stilcharakter ausge-
bildet. Abgesehen allerdings, von einigen rein textlichen Unsicherhei-
ten diesem Neuen gegenüber, die, meinem Gefühl nach, aus dem Rahmen fal-
len, jedenfalls zweifelhaft bleiben, in dem man zwar die Absicht erkennt
und billigt, mit den Mitteln aber in Konflikt gerät. So, wenn die Amme
meldet, Herr Ägist könne, so leid es ihm tut, etc. die Absicht, eine mö-
glichst inhaltslose, verbrauchte Phrase zu setzen, ist wohl klar, den-
noch scheint mir gerade diese zu stark den Geruch einer ganz anders gear-
teten Sphäre an sich zu haben - man sagt von Farben, sie schlagen sich,
wiewohl sie einander optisch sehr nahe stehen können. Ebenso wenn das Volk
gegen Orest losgeht: Wenn er schon so anfängt,wie etc. Nun das und noch
mehreres sind schliesslich Haarspaltereien, die gerade einem Operntext ge-
genüber vielleicht unangebracht sind, zumal wenn er sonst seine Aufgabe er
füllt. Ich habe nur hin und wieder den Eindruckm gehabt, dass dies oder je
nes im Stadium des Entwurfes oder der Skizze stecken geblieben ist. Die
drei Einakter sind in dieser Hinsicht gleichmässiger durchgearbeitet. Be-
sonders gut finde ich die Jahrmarktscenen, durchweg alle, im Text rhythmisch
gebundenen Chöre, namentlich den letzten durch seine mit höchst einfachen
Mitteln erzielte Steigerung, den Schluss des ersten Aktes (mit dem Spiel-
mann) den orgiastischen Schluss nach Orests Verbannung und das Lied des
Schäfers, das vorzüglich den Ton trifft. Dieses wu rde ich besonders gern
einmal hören. - Bleibt also die Fabel. Einverstanden bis zu dem Moment, da
der Fluch über Orest ausgesprochen wird. Da hat's einen Haken. Ich rede vom
Text, ich weiss nict was und wieviel die Musik daran ändern kann. Es wird
nämlich nicht sichtbar und spürbar, dass der Fluch den Orest so trifft,
dass er ihn wirklich ruhelos über die Erde jagt. Was man bis dahin über
den Lebensgang des Orest erfahren und wie er sich selbst dargestellt hat,
bereitet in nichts darauf vor, dass dieser, wie man sieht durchaus in Vor
dergründen lebende Mensch, plötzlich von so erschütternden Gewissensqualen
befallen wird. An sich wäre das ja durchaus möglich, der Umschwung liegt
sogar psychologisch sehr nahe, der Kontrast selbst wäre dann ausgezeichnet
bei Dir vorbereitet, aber gerade seine Spitze, den Schnittpunkt vermisse
ich. Die vordergründige Seite seines Charakters, das Bild, das man zuerst
von ihm erhält, bleibt das Stärkere. Die Schwierigkeit,ist, dass der Um-
schwung, der ganzen Anlage nach, vo innen her entwickelt werden muss. Denn
Ich habe das Ergebnis deiner Nachforschungen an meine Frau w
weitergegeben. Vielen Dank.Die Anfrage ging nicht von dem Betreffenden
selbst aus, sondern von einer Musikalienhandlung in Weimar.Die Sache
ist ja nun insofern erledigt, als die U. E. durch dich jetzt avisiert
ist und die Leute selbst anfragen werden.- Dein Besuch und die damit
verbundene Herzens - und sonstige Erleich terung hat mir sehr wohl ge-
tan. Hoffen wir, dass was wird.
Nun zu Deiner Oper. Zunächst Glückwunsch. Die Dia - und Pro-
gnose meines vorigen Briefes zu wiederrufen oder abzuändern, finde ich
keinen Anlass. Das soll nicht heissen, dass ich mit dem Text nicht ein
verstanden wäre. Im Gegenteil. Besonders erfreulich scheint mir die se
sehr lebendige Unbekümmertheit, die übrigens nichts von der manirierten
Umkrempelungswut unserer Zeitfanatiker an sich hat, dem Historischen
gegenüber.Nicht in dem engeren Sinne, der die Verwendung der Fabel be-
betrifft- dazu habe ich einiges auf dem Herzen - sondern hinsichtlich
des Gesamtstiles. Denn gerade dieser Stoff und dieses Milieu sind seit
dem Klassizismus auf einen bestimmten Stil festgelegt, dessen Prinzi-
pien sich von Goethe und Hoffmannsthal inm Wesentlichen eigentlich noch
nicht verändert haben. Du hast mit Recht und im grossen Ganzen mit Glück
oder Erfolg Dir einen prinzipiell anders gearteten Stilcharakter ausge-
bildet. Abgesehen allerdings, von einigen rein textlichen Unsicherhei-
ten diesem Neuen gegenüber, die, meinem Gefühl nach, aus dem Rahmen fal-
len, jedenfalls zweifelhaft bleiben, in dem man zwar die Absicht erkennt
und billigt, mit den Mitteln aber in Konflikt gerät. So, wenn die Amme
meldet, Herr Ägist könne, so leid es ihm tut, etc. die Absicht, eine mö-
glichst inhaltslose, verbrauchte Phrase zu setzen, ist wohl klar, den-
noch scheint mir gerade diese zu stark den Geruch einer ganz anders gear-
teten Sphäre an sich zu haben - man sagt von Farben, sie schlagen sich,
wiewohl sie einander optisch sehr nahe stehen können. Ebenso wenn das Volk
gegen Orest losgeht: Wenn er schon so anfängt,wie etc. Nun das und noch
mehreres sind schliesslich Haarspaltereien, die gerade einem Operntext ge-
genüber vielleicht unangebracht sind, zumal wenn er sonst seine Aufgabe er
füllt. Ich habe nur hin und wieder den Eindruckm gehabt, dass dies oder je
nes im Stadium des Entwurfes oder der Skizze stecken geblieben ist. Die
drei Einakter sind in dieser Hinsicht gleichmässiger durchgearbeitet. Be-
sonders gut finde ich die Jahrmarktscenen, durchweg alle, im Text rhythmisch
gebundenen Chöre, namentlich den letzten durch seine mit höchst einfachen
Mitteln erzielte Steigerung, den Schluss des ersten Aktes (mit dem Spiel-
mann) den orgiastischen Schluss nach Orests Verbannung und das Lied des
Schäfers, das vorzüglich den Ton trifft. Dieses wu rde ich besonders gern
einmal hören. - Bleibt also die Fabel. Einverstanden bis zu dem Moment, da
der Fluch über Orest ausgesprochen wird. Da hat's einen Haken. Ich rede vom
Text, ich weiss nict was und wieviel die Musik daran ändern kann. Es wird
nämlich nicht sichtbar und spürbar, dass der Fluch den Orest so trifft,
dass er ihn wirklich ruhelos über die Erde jagt. Was man bis dahin über
den Lebensgang des Orest erfahren und wie er sich selbst dargestellt hat,
bereitet in nichts darauf vor, dass dieser, wie man sieht durchaus in Vor
dergründen lebende Mensch, plötzlich von so erschütternden Gewissensqualen
befallen wird. An sich wäre das ja durchaus möglich, der Umschwung liegt
sogar psychologisch sehr nahe, der Kontrast selbst wäre dann ausgezeichnet
bei Dir vorbereitet, aber gerade seine Spitze, den Schnittpunkt vermisse
ich. Die vordergründige Seite seines Charakters, das Bild, das man zuerst
von ihm erhält, bleibt das Stärkere. Die Schwierigkeit,ist, dass der Um-
schwung, der ganzen Anlage nach, vo innen her entwickelt werden muss. Denn