Gomperz, Heinrich: Brief an Elise Richter. Wien, 18.8.1915
Wien , den 18.8.1915.
Verehrtes Fräulein !
Obwol ich morgen selbst zum Besuche meiner Mutter nach Gastein fahre,
also vielleicht Gelegenheit haben werde, Ihnen für Ihre Freundlich-
keit persönlich zu danken, so will ich doch nicht unterlassen,dies
schriftlich zu tun und daran die Bitte zu knüpfen , mir denn etwa
bis zum 1.September - an welchem Tage ich nach Wien zurückzukehren
gedenke - Ihrem frdl.Anerbieten entsprechend eine vollständige Über-
setzung der fraglichen Karte , die ich wieder beilege , übermitteln
zu wollen. Speziell der Inhalt der Z.5-3 v.u.(I fodomi....sparant da-
luntsch ) , die für mich von vorneherein die dunkelste Stelle bil-
deten , scheint mirdoch noch einiger Aufklärung zu bedürfen.
Ich zweifle nicht daran , dass Ihnen das sehr pedantisch vor-
kommen wird , wie es auch mir bis vor 2 Monaten vorgekommen wäre. Im
Amte aber gewinnt man für die Beurteilung von Begriffen wie
"Alt , Unaktuell , Unnötig " einen anderen Massstab. So nennen wir
z.B.Karten aus dem Jänner , Februar u.März "alt", Karten aus dem Ap-
ril und Mai sind "ein bischen rückständig" , Karten aus dem Juni,
Juli u.August sind "neu". "Aktuell" sind im allgemeinen Karten aus
der Zeit nach Ausbruch des Kriegs mit Italien, nur solche aus der
Zeit vorher sind "veraltet". Der russischenZensur ferner muss
man immer zugleich den grössten Scharfsinn und die grösste Schlam-
perei zutrauen : sie gibt uns Beispiele für beides, für die Schlampe-
rei insbesondere dadurch , dass sie ganz gewohnheitsmässig die Karten
unserer dortigen Kriegsgefangenen an ihre Freunde u.Verwandten in
Italien nach Österreich leitet - was gar manchen der Karten-
schreiber nach ihrer Rückkehr die Existenz , wenn nicht das Leben
kosten kann. Es ist also gar nicht ausgeschlossen, dass sie auch die
romanische Karte ungelesen durchlassen wird, ebenso aber auch mög-
lich , dass sie sie der Petersburger Akademie zur Begutachtung vorlegt
( schliesslich ist auch bei uns beides möglich !). Nun ist aber der