Geiger, Ludwig: Brief an Ottilie Franzos. Berlin, 13.6.1916
GEH. REGIERUNGSRAT
PROFESSOR DR. LUDWIG GEIGER
BERLIN, DEN 13. Juni 1916.
W. 50, SCHAPERSTR. 8.
Liebe Ottilie!
Deine Depesche zu meinem Geburtstage hat mich wegen
ihres herzlichen Tones ganz ausserordentlich erfreut
und wir wünschten nur, Dich einmal wiederzusehen; denn
dass wir in absehbarer Zeit nach Wien kommen, scheint
mir unmöglich. Im Sommer dürften wir uns höchstens
auf 14 Tage oder drei Wochen von Berlin entfernen; wohin
wissen wir noch nicht.
Die zehn oder zwölf Abdrücke Deines Gedichtes wirst
Du erhalten haben. Ich hatte sie jedenfalls ordnungsmässig
für Dich bestellt. Meinen Geburtstag habe ich in gewohnter
Weise verlebt. Selbst Hedwig war hier, mit der (auch
Heinz und Irmgard war dabei, ich hatte meine Ilse mitge-
nommen) ich ein paar angenehme Tage vom 30. Mai bis 4. Juni
in Plau in Mecklenburg verbracht habe, wo ich in Gesell-
schaft von Martha und Bresslaus bereits Ende April und
Anfang Mai gewesen war. Hedwig will in einigen Tagen an
der Frauen-Versammlung in Weimar teilnehmen und im Sommer
mit Paul Arons und Frau auf einige Wochen verreisen.
Mich beschäftigen noch für viele Wochen die Briefe
von Zunz , und auch sonst fehlt es nicht an vielfältiger
Arbeit.
Mit herzlichstem Gruss
der Deinige
Ludwig Geiger