Wien, 23. September 1934
Sehr geehrte gnädige Frau!
Mein langes Stillschweigen hat noch einen anderen Grund, als
dass ich bisher das gewünschte Exemplar der Fackel noch nicht gefunden
habe. (Lanyi hat mehrere, aber sie sind durchwegs viel teurer, als
ich Ihnen angegeben habe. Doch bitte ich um noch ein wenig Geduld, ich
zweifle nicht daran, dass ich das Gewünschte, wie ich es versprach,
finden werde. )
Mein Schweigen war verursacht durch ein monatelanges schweres
Leiden und den Tod meiner Mutter, die am 7. September von uns ging.
Ich muss dazu sagen, dass meine Mutter, die das hohe Alter von 84 Jah-
ren erreichte, bis zur letzten Stunde ein vollkommen klarer, geistig
hochstehender Mensch war und dass mich mit ihr, ganz anders als sonst
erwachsene Söhne mit ihrer Mutter, seit vielenJahrzehnten das Band einer
alles verstehenden Freundschaft verband. Ich weiss, dass ich ihr, deren
Gatte, mein Vater, noch lebt, 88 Jahre alt ist und mit ihr in 62jähriger
Ehe verbunden war, der einzige Halt in einem langen Leben gewesen bin;
und obschon ohne Zweifel in diesem geistigen Bunde seit Jahrzehnten
ich der gebende Teil gewesen bin, seit lange auf das natürliche Zer-
reissen dieses Bandes gefasst sein musste und in den 15 Monaten ihres
Leidens gefasst war, hat mich dieses furchtbar schwere Sterben sehr
aus meinem Gleichgewicht gebracht. Der arme Körper war längst zerstört,
der Geist blieb hell und klar, ganz furchtlos vor dem Tod und wollte
und wollte den Körper nicht aufgeben. Und jetzt, da sie mir fehlt,
hat sie einen grossen Teil meiner Kraft mit sich genommen, und ich habe
in der unmittelbareren Sorge um den alten Vater die für mich notwendige
Einsamkeit noch nicht gefunden, in der ich mich erholen und meine Kräfte
wieder gewinnen kann.
D ies wollte ich Ihnen kurz sagen und bitte um Ihre Geduld. In
Dankbarkeit für Ihre freundliche Gesinnung, die ich in ihren Zeilen
fühle, grüsse ich Sie indessen herzlich.
Dr K. Jaray
Sehr geehrte gnädige Frau!
Mein langes Stillschweigen hat noch einen anderen Grund, als
dass ich bisher das gewünschte Exemplar der Fackel noch nicht gefunden
habe. (Lanyi hat mehrere, aber sie sind durchwegs viel teurer, als
ich Ihnen angegeben habe. Doch bitte ich um noch ein wenig Geduld, ich
zweifle nicht daran, dass ich das Gewünschte, wie ich es versprach,
finden werde. )
Mein Schweigen war verursacht durch ein monatelanges schweres
Leiden und den Tod meiner Mutter, die am 7. September von uns ging.
Ich muss dazu sagen, dass meine Mutter, die das hohe Alter von 84 Jah-
ren erreichte, bis zur letzten Stunde ein vollkommen klarer, geistig
hochstehender Mensch war und dass mich mit ihr, ganz anders als sonst
erwachsene Söhne mit ihrer Mutter, seit vielenJahrzehnten das Band einer
alles verstehenden Freundschaft verband. Ich weiss, dass ich ihr, deren
Gatte, mein Vater, noch lebt, 88 Jahre alt ist und mit ihr in 62jähriger
Ehe verbunden war, der einzige Halt in einem langen Leben gewesen bin;
und obschon ohne Zweifel in diesem geistigen Bunde seit Jahrzehnten
ich der gebende Teil gewesen bin, seit lange auf das natürliche Zer-
reissen dieses Bandes gefasst sein musste und in den 15 Monaten ihres
Leidens gefasst war, hat mich dieses furchtbar schwere Sterben sehr
aus meinem Gleichgewicht gebracht. Der arme Körper war längst zerstört,
der Geist blieb hell und klar, ganz furchtlos vor dem Tod und wollte
und wollte den Körper nicht aufgeben. Und jetzt, da sie mir fehlt,
hat sie einen grossen Teil meiner Kraft mit sich genommen, und ich habe
in der unmittelbareren Sorge um den alten Vater die für mich notwendige
Einsamkeit noch nicht gefunden, in der ich mich erholen und meine Kräfte
wieder gewinnen kann.
D ies wollte ich Ihnen kurz sagen und bitte um Ihre Geduld. In
Dankbarkeit für Ihre freundliche Gesinnung, die ich in ihren Zeilen
fühle, grüsse ich Sie indessen herzlich.
Dr K. Jaray