Kienzl, Wilhelm: Korrespondenzkarte an Nina Kienzl. Pertisau am Achensee, 17.6.1914
Liebe Mama! Pertisau am Achensee, 17. Juni 1914.
Da sitzen wir nun seit 3 Tagen völlig eingeregnet. Es gießt
Tag u. Nacht, so dass es aufgelegter Unsinn wäre, weiterzureisen,
zumal hier Luft u. Ruhe unbezahlbar, Wohnung u. Essen aber
überaus leicht bezahlbar, nämlich märchenhaft billig sind,
ganz wie in alten Zeiten! Der riesige „Fürstenhof” gehört dem
Stift „Fiecht”, führt ausgezeichnete Hausmannsküche, u. für's große
Zimmer im 1. Stock m. 2 Betten zahle ich nur 2 Kr. 40 H! Das Haus ist jetzt
6 mal so groß als damals u. der leitende Direktor behandelt mich mit ausge-
zeichneter Liebenswürdigkeit. Überall passiert mir das, u. ich habe auch
in den verschlagensten Gebirgsgegenden meine Verehrer. Der Direktor hier
schlug mir als Opernstoff Herm. Schmids „Schütz von Pertisau” vor u. sagte,
wenn ich ihn komponierte, gebe er mir u. Lili über den ganzen Sommer
völlig freie Station. Du kannst Dir denken, dass ich es einzig aus diesem
Grunde bestimmt tun werde, denn einen erhabeneren Anlass zum künst-
lerischen Schaffen kann es doch gar nicht geben. -Die Ruhe hier tut den Ner-
ven sehr wohl, u. auch das Perti-sau=Wetter kann daran nichts ändern.
Wir haben den Plan in die Schweiz zu reisen, wegen der beschränkten Zeit und