Kleinert, Karl Erasmus: Brief an Wilhelm Kienzl. Wien, 4.4.1930
Wien, Freitag, 4. April
1930.
5h 40m · Nachm.
Verehrter Meister!
Geliebter Freund!
In dieser Minute ist Ihr herrlicher Vortrag
beendet worden, dem ich im Radio andachts=
voll gelauscht habe. Dank, innigen Dank darf
ich Ihnen im Namen Tausender, ja Hunderttau=
sender sagen. Ihre liebe, klangvolle Stimme tönte
voll und klar; es war, als stünden Sie neben mir
und sprächen in Ihrer begeistert=begeisternden,
wundervoll lebensprühenden Weise! Gottlob,
daß Sie wieder gesund und kraftvoll sind, schaffend,
Ihre Hörer beglückend.
„Kunst und Gemüt”, - die unzertrennlichen
Zwei. Ja, Sie haben Recht, wenn Sie sagen: „Eine
künstlich konstruirte Melodie ist ein Homunkulus
ohne Seele.”
„Das Herz macht den Dichter”, sagt Goethe.
Ohne Herz, ohne Gemüt gibt es keine Kunst.
Jedes Wort, das Sie gesprochen, wird sich den
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