Ernst Kurth
2. Juni 1921.
Sehr geehrter Herr!
Ihr Schreiben vom 13. April d. J. wurde mir durch Herrn Moharrem Anfang Mai übergeben;
da ich die letzten Wochen mit dringender Arbeit überlastet war und alles, was nicht an den
Tag gebunden war, zurückgestellt werden musste, verzögerte sich die Beantwortung bis heute.
Ich hatte lange daran gedacht, einen Grundriss des praktischen Unterrichts nach
meiner Kontrapunkt-Theorie herauszugeben, kam aber davon ab, als sich meine ursprüngliche
Meinung, dieser müsse in weitzügigerer Weise und selbständiger und zugleich vertiefter
nach der allgemeineren Fassung in meinen „Grundlagen” möglich sein, überraschend und von allen Seiten bestätigte;
die Zahl der Zuschriften, die mir teilweise recht ausführlich sowohl vom Aufbau
praktischen Unterrichts als von autodidaktischem Vorgehen auf Grund meines Buches
sprachen, waren für mich bestimmend und ich wurde mir klar darüber, dass jede engere
Lehrbucheinschränkung, (zu deren Abfassung mir auch viele Angebote von Schülern und
Fachkollegen eingehen,) von Übel wäre.
Mein Vorgehen, das Sie ja in meinen „Grundlagen” skizziert finden, ist
im Einzelnen recht individuell und das sollte von keinem übersehen werden, der
ans Unterrichten geht. Nach Skizzierung der Grundprobleme (sehr kurz, unter Hinweis
auf breitere Ausführung im II. Abschnitt meines Buches) gehe ich direkt zur Besprechung des
Linienstils in Bachs Violin- und Cellosonaten; erst suche ich die Fähigkeit zu
stetiger und steigerungsvoller Fortspinnung möglichst zu lockern, sei es auch bei den
2. Juni 1921.
Sehr geehrter Herr!
Ihr Schreiben vom 13. April d. J. wurde mir durch Herrn Moharrem Anfang Mai übergeben;
da ich die letzten Wochen mit dringender Arbeit überlastet war und alles, was nicht an den
Tag gebunden war, zurückgestellt werden musste, verzögerte sich die Beantwortung bis heute.
Ich hatte lange daran gedacht, einen Grundriss des praktischen Unterrichts nach
meiner Kontrapunkt-Theorie herauszugeben, kam aber davon ab, als sich meine ursprüngliche
Meinung, dieser müsse in weitzügigerer Weise und selbständiger und zugleich vertiefter
nach der allgemeineren Fassung in meinen „Grundlagen” möglich sein, überraschend und von allen Seiten bestätigte;
die Zahl der Zuschriften, die mir teilweise recht ausführlich sowohl vom Aufbau
praktischen Unterrichts als von autodidaktischem Vorgehen auf Grund meines Buches
sprachen, waren für mich bestimmend und ich wurde mir klar darüber, dass jede engere
Lehrbucheinschränkung, (zu deren Abfassung mir auch viele Angebote von Schülern und
Fachkollegen eingehen,) von Übel wäre.
Mein Vorgehen, das Sie ja in meinen „Grundlagen” skizziert finden, ist
im Einzelnen recht individuell und das sollte von keinem übersehen werden, der
ans Unterrichten geht. Nach Skizzierung der Grundprobleme (sehr kurz, unter Hinweis
auf breitere Ausführung im II. Abschnitt meines Buches) gehe ich direkt zur Besprechung des
Linienstils in Bachs Violin- und Cellosonaten; erst suche ich die Fähigkeit zu
stetiger und steigerungsvoller Fortspinnung möglichst zu lockern, sei es auch bei den