Loos, Lina: Brief an Egon Friedell. Sievering, 11.8.1933
Café Sievering den 11. August 1933
Lieber Egon!
Ich danke Dir für die ernste Beantwortung, meiner ernst
gemeinten Frage!
Die praktische Vernuft - (Gespräche zwischen Mann und Frau oder Frauen
untereinander), hat den Vorang vor den theoretischen Gesprächen der Männer -
Männergespräche sind reine Verstandesgespräche und daher für Frauen zu
unlebendig!
Dein Brief war garnicht schwer verständlich - er war vernünftig und praktisch -
im allerbestem Sinn - weiblich.
„Schlechtes Gewissen” sehr gut - aber bekannt - siehe Kulturgeschichte!
Du schreibst:
„Die Tatsache der natürlichen menschlichen Bosheit ist ein Problem geworden”
In der Natur gibt es keine Bosheit!
Da es aber sehr schwer ist ein Mensch zu sein - gibt es im Übergang -
Verstand besitzende Tiere - die in ihrer Dumheit gefährlicher sind -
als gut gelaunte Raubtiere; sie sind schlechtgelaunte Menschen.
Du schriebst:
„Wenn der Mensch böse ist, warum will er das Gute? Wenn er gut ist, warum
tut er böses?”
Wenn es irgendwie geht, will der Mensch lieber das Gute - !, mir genügt
diese Tatsache - umdie Menschen zu lieben - Dir nicht?
Was Du über Gotteserkenntnis schreibst, gefällt mir besser - wie die
Kant Darstellung - mit einem sittlichen Willen kann ich nichts
anfangen.
„Der Wille ist nie sittlich!”
Ich küsse Dich
und alles was Dich in Kufstein umgibt, mit Ausnahme der Brennessel - die
[seitlich:] sind Boshaft aus Angst. Deine Lina Ich lebe zum erstenmal das Leben wie ich es
mir immer gewünscht habe!