Noder, Anton Alfred: Brief an Ernst Krenek. München, 3.11.1928
3.XI.28.
München,Alexandrastr.1.I.
Sehr verehrter Herr Professor!
Gar keine Rede,dass man Sie nach dem "Jonny" als Grotesk-Spezialisten
festnageln könnte! Vor überraschender Appartität und originellster
Neuart bricht überall der echte grosse Musiker durch,der Zeitloses
verheisst,wenn er auch mit all den blendenden Mitteln heutigen Kön-
nens eben dieser Gegenwart zu dienen sucht.
Mein "Nabelhirn" ist vor kurzem fertig geworden; ich kann ihn also
nur als Manuskript schicken, und zwar als Roman. Denn ich muss erst
wissen,ob solch ein eigener Kopf wie Sie Lust daran fände,diese un-
geheuren Merkwürdigkeiten dramatisch zu vertonen. Wenn Sie dann für
die Idee gewonnen sind,würde ich den Text schreiben oder Ihnen selbst
die Umdichtung überlassen. Jedenfalls hat noch kein Publikum eine
derartige Fabel auf der Bühne erlebt. Aber hinter der grimmen Groteske
steht ungemeine,ewige Tragik und ein Spiegel allerjüngsten ,nie ver-
altenden Geschehens.
Drei Bitten,lieber Herr Professor:lesen Sie das Werk schnell,ehe Ihre
zukünftige Triumphreise in Amerika Sie ganz verschlingen und für den
deutschen Poeten in nebulose Ferne rücken wird! Achten Sie auf mein
kostbares Manuskript,dass es weder zu Wasser noch zu Lande Ihnen ver-
loren geht, und drittens gebe ich Ihnen die noch unveröffentlichte
Arbeit in tiefstem Vertrauen auf Ihre ehrenwörtliche Diskretion.Die
Sache ist von einer Niedagewesenheit,dass Sie meine Vorsicht wohl
begreifen dürften.
Sollten Sie einem gemeinschaftlichen Schaffen näher treten wollen,
bin ich gerne bereit auch einmal nach Wien zu kommen,wo ich ein
Haus herrlicher Freunde habe,die auch Ihnen Freude machen würden:
wunderbar kulturvolles Heim,feinstes altwienerisch-traditionelles