Reiner, Fritz: Brief an den Verlag Die Fackel. Brünn, 29.7.1929
FRITZ REINER
VERTRETER FÜR DIE Č. S. R.
DER FA. GEBR. NATHAN, HAMBURG
Brünn, Lazanskyplatz 2/III
29. 7. 29
An den Verlag der „Fackel”
in Wien
Gestatten Sie einem dankbaren Leser, dem Sie in freundlichster
Bereitwilligkeit erbetene Auskünfte in sprachlichen Fragen
erteilt hatten, folgende neuerliche Anfrage:
In Nr 795/799 der Fackel, S.4, 6. Zeile von unten heißt es:
- mit Ausnahme einiger unantastbar schönen Verse ....
Warum nicht „schöner”?
Bei dieser Gelegenheit drängt es mich, auf die Gefahr, daß solches
als unerwünschter Ausbruch von Zudringlichkeit missverstanden
werden könnte, Herrn Kraus für die wunderbaren Verse „nach
dreißig Jahren” zu danken. Daß Herr Kraus nach diesem
dreißigjährigen Kriege nun allein dasteht, war eigentlich voraus-
zusehen und ist nicht mehr und nicht weniger als der klarste
Beweis für seine geistige und sittliche Größe, die allen Verlockungen
zu Kompromissen, selbst der der Umwandlung eines Teiles geistiger
Kraft in materielle Macht widerstanden hat.
Ich bekenne, daß ich (und wahrscheinlich nicht allein) zu man-
chen Zeilen erwartet hatte, daß Herr Karl Kraus der sicherlich
im materiellen Sinne gegebenen Möglichkeit folgen würde, eine
offizielle und hervorragende Stelle in der sozialdemokratischen
Partei zu übernehmen und auf diesem Wege Staatsmann zu
werden. Die Unsinnigkeit solcher Erwartung hat sich erst
nachträglich erwiesen, als sich immer deutlicher zeigte, daß
die offiziellen Sozialdemokraten doch nichts anderes seien als
arrivierte Bürger mit revolutionärer Vergangenheit.
Je hermetischer sich nun diese ganze offizielle Gegenwart