Schliessmann, Hans: Brief an Hermann Löffler. Wien, 1.12.1918
Wien XIII/1 - Hietzinger Hauptstrasse 52
den 1. Dezember 1918
Hochverehrter, liebster Herr Löffler!
Ihre in grün=weiss=blutiges rot getauchte magyarische
Odyssee erfuhr eine traurige Fortsetzung in rot=weiss=rot!
Erst heute früh, also nach einer 21.=täg. Irrfahrt, landete Ihr
lieber, interessanter und herzerfreulicher Revolutionsbericht
in der Schliessmannei! Über 52 hinweg, lief er bis 152 die
Hauptstrasse hinauf, - weit genug, um in der Folge sich für
die postalischen Dampfg'scherten in Ob. St. Veit zu einem
schier unauflösbaren Problem zu gestalten. Ein Blick in den
jedem Amte einverleibten „Lehmann”, hätte diesen Genie's den
Ruf nach der Polizei erspart! Eine unglaubliche Sache das,
aber ich zwinge Sie, daran zu glauben, durch die Anlage der
zu einer Kuriosität geformten Hülle Ihres Schreibens! - -
Was mögen Sie sich unterdessen über uns Beide - in solchen
Dingen peinlichst Genauen - schon für wunderliche Gedanken
gemacht haben!!! Wohin sind die Tage kleinerer Epochen ent=
schwunden, wo es ein grösserer Genuss gewesen, ein Zeit=
genosse zu sein! Was war das damals für ein vergnügliches
Erdenwallen; da gab's nicht wie jetzt, einen einmaligen, fraglichen,
sondern viermalige, prompte Postgänge und 3=mal täglich
frisches Gebäck, 6=mal verschieden in Form und Güte und
hiezu - und das war die Krönung kulinarischer Wonnen -
ein Rumsteak mit Rohscheiben, Salzburger Nockerln, einen
tränenfeuchten Emmenthaler und ein himmelwärts schäumend=
es Krügel Püls aus der tschecho=slowakischen Brauerei!
Schmerzlich=quälend ist's für einen angegrauten Republikaner,
in solchen Erinnerungen herum zu kramen, wenig tröstlich das
Wiederkäuen verblaster, längst entschwundener, nie mehr wiederkehrender Herrlichkeiten! - -
Um welch' grosses Vergnügen kamen meine Gattin und ich