Zweig, Stefan: Brief an Teddy Muscat. o.O., 19.4.1933
SZ
SALZBURG
KAPUZINERBERG 5
am 19. April 1933
Lieber Herr Muscat!
Es hat mir furchtbar leid getan, dass ich Sie durch einen
auswärtigen Besuch versäumen musste. Es wäre mir ein Bedürfnis gewesen
mit Ihnen zu sprechen und wenigstens zu versuchen, Ihnen etwas von der
Bedrückung zu nehmen. Leicht haben Sie es nicht (und es wäre eine
Schande, sollten gerade Sie allein es leicht unter allen den Schick-
salsgenossen haben), aber Sie haben den Vorteil der Jugend, denn
selbst wenn Sie ein halbes Jahr oder ein Jahr verlieren und etwas
später Doktor werden, so ist dies nur das Jahr, das eine frühere
Generation mit dem Militärjahr verloren hat, während Sie als Gewinn
eine besonders gründliche Ausbildung ernten. Und in einiger Zeit wird
sich, dessen bin ich sicher, die Situation bereits geklärt haben. Es
gibt keinen grösseren Fehler, als irgend etwas in der heutigen Welt,
das Positive und das Negative, schon als definitiv zu betrachten, ich
habe mich gewöhnt, nur kurzfristig zu denken und Sie sollten meiner
Meinung nach, zunächst in Wien ruhig weiterarbeiten und vielleicht,
dass Sie später an eine deutsche Universität wieder zurückkehren: bes-
ser Sie haben das halbe Jahr durch privates Studium verloren als durch
eine Krankheit. Ausnützen aber sollten Sie eine solche Zeit, meiner be-
scheidenen Meinung nach, indem Sie Ihre ganze Energie ausserdem noch auf
Sprachen werfen, englisch, vielleicht spanisch, und in diesem Sinn
müssen wir uns alle bereithalten und nicht mehr wie früher unbesorgt
unsere ganze Sicherheit auf die deutsche Sprachwelt setzen. Hier würde
ich ihnen erbitterte Zähigkeit anraten, vielleicht können Sie auch durch
irgendwelche Studentenverbindungen auf Austausch im Sommer auf zwei
Monate in eine englische Familie. Nichts scheint mir wichtiger als