Abel, Othenio: Brief an Franz Karl Ginzkey. Wien, 1.5.1933
Einrichtungen des Asklepieions ,die von den Archaeologen,wie mir scheint,
nicht richtig gedeutet worden sind, beweisen,was damals für ein Hokuspokus
mit dem seligen Asklepios getrieben worden sein muss.Unvergleichlich wie
immer war auch diesmal der Besuch Delphis.Diesmal ist es Kollegen Kölbl und
mir vielleicht gelungen,festzustellen,dass die sagenhaften Dämpfe ,die die
Pythia eingeatmet haben soll,bevor sie in Trance verfiel,kalte Winde waren,
die aus einer Gesteinsspalte ausströmten;konnten wir doch die Fortsetzung
der klassischen Stelle des Apollotempels bis in eine heute noch gut sicht-
bare grosse Felskluft in den Phädriaden verfolgen,die ganz und gar verkar-
stet sind.Von "Dämpfen" ist wohl kaum die Möglichkeit gewesen.
Seit meinem letzten Besuche des Vulkans Santorin 1911 hat sich vieles
geändert,denn der letzte grosse Ausbruch 1925 hat dort katastrophale Verän-
derungen zur Folge gehabt.Hier hat man wirklich den Eindruck,als würde einem
der Erdgeist seine Faust entgegenstrecken.Freilich gibt es Leute,die an einer
solchen Stelle ganz erstaunt zu fragen vermögen: Ist das denn alles? Und des-
wegen hat man uns hergeführt? Kein Rauch und keine Flammen ?
Mit Schrecken sehe ich,dass ich Ihre Geduld schon zulange missbraucht
habe.Aber wennwir uns wieder sehen,so darf ich wohl über dies und das mit
Ihnen weiter plaudern.Ich weiss,Sie haben immer ein offenes Ohr und ein Herz
für diese Dinge übrig.So darf ich mich auf Ihren nächsten Besuch freuen.Wenn
nicht mehr im Sommersemester in Wien,so vielleicht im Sommer in Mondsee !
Mit der Bitte,mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin zu empfehlen und
herzlichsten Grüssen von meiner Frau an Sie und Ihre Gattin bin ich wie
immer Ihr getreuer
Othenio Abel