Berg, Alban: Brief an Erich Kleiber. Berlin, 26.11.1926
rekomm.
ALBAN BERG WIEN XIII/1
TRAUTTMANSDORFFGASSE 27
TELEPHON: AUTOMAT 84831.
26/11 26
Herrn Generalmusikdirektor Erich Kleiber Berlin
Liebwerter Freund
Du hast natürlich von den Prager Schicksalen meines „Wozzeck” gehört.
Was es für mich bedeutet - in jeder Hinsicht: in künstlerischer u. materieller
- wenn es den czechischen Hackenkreuzlern gelingt, die weiteren
Aufführungen zu verhindern (und es hat momentan den Anschein!) brauch'
ich Dir nicht zu sagen. An den für mich schweren Folgen wird auch
nichts geändert, wenn jeder Mensch weiß, daß diese Prager Ereig=
nisse rein politischer Natur waren, daß die Première ein ganz
kolossaler Erfolg war*)(: ich wurde vom I. Akt an stürmisch ge=
rufen u. mußte im Ganzen ca. 30-40 mal vor den Vorhang;) daß die I.
Wiederholung ebenso ein, ohne jeden Wider=
spruch erfolgter, großer Erfolg war für die Sänger u. Sängerinnen
u daß erst bei der III. Aufführung (die übrigens wie alle
Aufführungen steck voll war) diese offensichtlich inscenierten,
von einem Teil der čech. Presse inspirierten Skandalscenen das
Werk zu Fall brachten. Ich sage einem Theil; denn es handelt
sich nicht etwa um eine Agitation seitens der Czechen über=
haupt, sondern nur seitens jener fascistischen Gruppe der
cechisch Nationalen (ein Gegenstück zu den Deutsch=Nationalen)
u. Clerikalen, die in mir einen „Berliner Juden Alban (Aron?)

*) Der Tod des Bürgermeisters blieb im Theater selbst ganz unbemerkt.
Erst tags daraus aus den Zeitungen erfuhr man davon. -