Friedländer, Alice: Brief an Elise und Helene Richter. Berlin, 10.11.1916
II
aufgehoben werden soll. Daraufhin riskire ich es, einen
zweiten Bogen zu nehmen. -
Ich will doch noch von Franz schreiben. Dass er neulich
in Budapest mit den Eltern zusammen war, habt Ihr
vielleicht von Papa gehört. Es geht ihm ganz gut, aber nach-
gerade werden wir doch etwas ungeduldig. Er ist vom Wetter-
dienst schon 2 Mal angefordert worden u. die Luftschiffer
scheinen ihn für unentbehrlich zu halten. Wenn er jetzt zurückkäme
wäre er mit Hold in Jüterbog zusammen, denn die Inspek-
tion vom Wetterdienst ist auch dort. Ach, wie erzieht einen
das Militär zur Geduld! -
Die armen Kurandas tun mir furchtbar leid. Ich weiss, was
für eine passionirte Mutter sie immer war. Es gibt jetzt nur
Eines: sich klar machen, dass man mitten in der grössten
Katastrophe der bisherigen Weltgeschichte steht, dass es an sich
ein schweres Unglück ist, diese Zeit erleben zu müssen,
und sich damit abfinden, dass Niemand Anspruch auf
Schonung hat. Hoffentlich werde ich diese Resignation bewah-
ren, wenn Hold vor dem Feind steht. Vorläufig heisst's den
Augenblick geniessen, wo man ihn noch hat. Der Junge hat
sich prachtvoll entwickelt. -
Nun aber genug für heute. Hoffentlich geht es Euch
gesundheitlich besser als im letzten halben Jahr. Lasst bald
von Euch hören und seid vielmals umarmt von
Eurer
Alice