Bartsch, Rudolf Hans: Brief an Heinrich Friedjung. Baden, 4.3.1916
kommen , Liebster . Nicht nur die verfl. Nierensteine und die Nerven !
Am tiefsten ist meine Seele verwundet , denn was ich da kommen sehe an
Poliziertheit und Gleichschliff aller Seelen , an Abtötung gerade des
nützlichen und so lebenswerten Ferments des Freisinns , der unglaubliche
Ingrimm gegen das , dem Deutschen gerade so notwendige Judentum und die
dumpfgehässige Ablehnung aller wirklichen Lebensfreude - es war nieder=
drückend ! Objektiv mußte ich diese Volk heiß bewundern : subjektiv litt
ich namenlos . Dieser trockene Ernst , wie ich ihn an Menschen noch nie
sah , wohl aber mit eigentümlichen Gefühlen immer wieder an belasteten
- Stalltieren anstaune . Unverbrüchliche Arbeit , Pflichttuerei und, höch=
stens, Selbsbewußtsein auf allen Gesichtern , nie Heiterkeit , Bescheiden=
heit , Urbanität . Höchstens , daß beim Wein die ganz jungen Leute anders
wurden . Ich würde all das überhaupt verschweigen , (wie ich Dich denn bitte ,
meine Mitteilungen hierüber nur für engste Freunde zu bewahren), wenn die Deutschen nicht eine, oft an Miß=
achtung grenzende Abschätzung des unendlich blühenderen , quellenderen
östreichischen Menschentums hätten ! Der Gedanke an diese gänzlich unzu=
lässige Überschätzung ihrer eigenen guten Eigenschaften bringt mich immer wieder
auf und manchmal ertappe ich mich bei heißen Wünschen für einen Teil des
-französischen Programms . Das alte Deutschland ? O ja ! Preußen , wie
es sich , gar jetzt , gestalten will ? Nein .
Lebwohl , verehrter Freund ! Ich lasse mich wenig sehen , aber
ich denke oft und in tiefer Herzlichkeit an Dich und unsern armen , so
schwer geprüften Baron Schenk ! Könnte man nicht einmal in Baden zusammen
sein ? Ich habe hier ein ganz kleines Häuschen und scheine darin glücklich
werden zu wollen . Viele, viele Grüße Dir , meinen herzlichen Respekt Ex=
zellent Sieghart ! Dein alter treuer
Rudolf Hans
Bartsch