Kosel, Hermann Clemens: Brief an Franz Karl Ginzkey. Wien, 14.9.1924
Atelier Kosel
Wien I., Aspernplatz 1
Sehr verehrter Herr Ginzkey. Ihr heutiges Schreiben
hat mir eine tiefe Freude bereitet. Ihrer Worte schönen
Klang, habe ich so lange Zeit nicht vernommen, ich glaubte
schon Sie zürnten mir noch; nun freue ich mich doppelt.
Daß Ihnen mein Werk Stunden der Versenkungen bereitete
macht mich glücklich. Freilich, Ihren Ansprüchen, die
ja die Forderung literarischen Geistes stellen müssen, ist meine
Arbeit nicht gewachsen. Aber wenn Sie meinen guten Willen
herauslesen, dann werden Sie über die vielen Schwächen
hinwegkommen. Mir war es doch lediglich darum zu tun,
ein deutsches Volksbuch zu schreiben und Dürer aus seiner
Zeit herauswachsen zu lassen; möglichst lebendig und
wahrheitsgetreu.
Eine Besprechung über die drei Bücher aus Ihrer
Feder, ist für mich doppelt wertvoll und bin ich Ihnen
tausendfach dankbar. Sie haben sich, wie wenige, in
Dürers Wesen hineingelebt und werden richtig über den
Zweck meines Buches urteilen.
In einigen Wochen erscheint nun mein „Michelangelo.
Dieses Werk ist tiefer, im Geiste der Renaissance und im
Geiste des Meisters, auch literarisch geht es andere Wege.
Ich glaube, daß ich den „Mann mit den vier Seelen“
lebendig hingestellt habe in die Zeit der Papsttyrannen
und der Medici und aus seinem Menschentum den Geist
seines Werkes richtig hervorgeholt habe.