Linke, Karl: Brief an Andreas Thom. Wien, 22.4.1915
Wien, 22. 4. 1915
liebe Thom,
nun schreibe ich Dir schon wieder. Am Dienstag wäre ich gleich am
liebsten bis zum Morgen bei Euch sitzen geblieben, obwohl ich am nächsten Tag vor=
mittag bis 12 Uhr Schule und bis Abend 6 Uhr Brotkommission (ununter=
brochene Schreiberei!) hatte. Ich habe nie so viel Arbeit ausgehalten wie jetzt
und war nie so frisch. Es gibt keine Arbeit, die mich jetzt verdrießlich
machen könnte.
Du hast recht mit Deinem Satz: Man bekommt Schwergewicht. Mir
ist, als wäre ich erst jetzt auf festen Boden getreten, als hätte ich bisher
auf einem schwankenden Schiff gelebt. Auch fühle ich jetzt erst den Begriff
Mann. Ich habe immer gesagt, der Gedanke: Mann sei mir so lächerlich, ich
fühle mich immer noch als Knabe, ich wisse nichts von dem Ernst und
von der Würde des Mannes. Das sagte ich aber so, daß der Mann etwas Minder=
wertiges scheinen sollte und ich in ewiger Jugend unbegrenzte geistige
Vorteile hätte. Nun aber habe ich plötzlich den Ernst bekommen, den
großen Ernst, den der Knabe nicht kennt. Wenn ich früher Ernst und
Überlegenheit markierte, besonders in meinen öffentlichen Streitigkeiten
und Angriffen, so war es doch eigentlich nur die Frechheit des Halbreifen,
der damit seine Mängel zu verdecken suchte; wie auch Knaben sich frech
benehmen und sich einbilden, damit den Erwachsenen ähnlich zu werden.
Ich glaube, heute würde ich anders schreiben - wenn ich Zeit und Lust
hätte.
Bei ihr zu Hause haben die Kämpfe mit der Mutter bereits begonnen.
Sie wehrt sich natürlich gegen alles, was Mann heißt. „Du hast Deinen
Beruf, Du brauchst sonst nichts, deswegen habe ich Dich studieren lassen,
habe mich so viele Jahre gesorgt und geängstigt und nun alles sicher
und schön wäre, fällt es Dir anders ein. Du könntest es jetzt so schön
mit mir haben, unser Leben ist sorgenfrei. Du willst Dir jetzt neue,
unnötige Sorgen aufladen, das wird Dein Unglück sein, Du kennst
die Männer nicht, ich gebe Dich nicht her; warum soll das, was ich
durch schwere 26 Jahre allein, ohne Mann aus Dir gemacht habe,
warum soll das jetzt ein Fremder einfach fortnehmen dürfen?
Du wirst mir einmal dankbar sein, wenn Du älter und vernünftiger