Linke, Karl: Brief an Andreas Thom. Wien, 23.4.1915
da Weiningers herrlicher Blödsinn über das Weib als Kupplerin ein.
Frau Gaß ist die ideale Kupplerin; sie hat zweien Menschen, die einander
verdienen, den Weg bereitet. Als ich ihr Sonntag offenbarte, wie ich zu
Emma stehe und um ihre Intervention bei der Mutter bat, war sie so närrisch
vor Freude, daß sie zu Hause im Vorzimmer zu tanzen anfing, dem Dienst=
mädchen den ganzen Tag hindurch versicherte, daß sie noch nie so gut
aufgelegt gewesen war wie heute, mit ihren Kindern in heiterster Laune
fortging, so daß die ganze Familie auflebte und vom Freudenglanze
der Mutter viel abbekamen, ohne vom Ursprung dieser Freudigkeit zu wissen.
Denn sie hütete das Geständnis wie ein Geheimnis, das nur sie und mich
anginge. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich mich darüber freue, wenn
ich sehe, daß zwei gute, liebe Menschen sich gefunden haben. Und wenn ich
da noch was dazutun darf, dann übersteigt meine Freude alle Grenzen.“
Und so was soll (nach W.) der Abgrund der Verworfenheit sein, die
größte Verbrecherin usw? Der Fehler liegt wahrscheinlich in einer gänzlich
falschen ethischen Wertung; man sollte bloß Tatsachen registrieren
und nicht sofort Schlüsse ziehen und vor allem nichts verallgemeinern.
Wie kann es für mich Frauen geben, es gibt ja doch nur eine Frau.
Nun für Deine liebe Frau: Ich muß einen Irrtum richtig stellen.
Ich habe behauptet, Emma hätte schwarzes Haar. Ich hatte sie aber
so genau gar nicht angesehen. Heute habe ich mich über die Haarfarbe
orientiert: Sie ist dunkelbraun. Bitte also das Schwarz aus dem
Vorstellungsbild zu streichen.
Es grüßt alle Euer
Linke.