Linke, Karl: Brief an Andreas Thom. Wien, 17.4.1915
gesundenden und reinen Natur diktiert. Ich hatte wochenlang eine rasende
Angst, daß Du mir verloren gingest; ich fühlte es, wie ich zwischen Dir
und Deiner Frau als Hemmnis, als Fremdkörper stand, der aus einem
guten Willen, aus Mitleid und vielleicht aus einer ehemals lieben Ge=
wohnheit bloß geduldet ward. Schon in Drosendorf habe ich gespürt,
wie wenig organisch ich mit Euch verwachsen war und
es war nur das Gefühl gänzlichen Verlassenseins, das mich abhielt, abzu=
reisen. Aber es war mir nie wohl in Drosendorf und ich habe mich weder
im vorigen Jahre noch früher dort erholt. Das alles wollte ich Dir schon
vor einigen Wochen schreiben, aber ich konnte es nicht. Heute, da ich Dir
noch etwas Anderes mitteilen konnte, da ging es. Denn nun fühle ich
den Bann schwinden, der schwere nervöse Druck löst sich langsam
von mir und mir ist fast, als hätte ich eine Krankheit überstanden
oder wäre an einer großen Gefahr vorübergegangen.
Und nun bitte ich um Urlaub. Ich habe neben Schule, Brotmarken,
Kartoffelbau und Schönberg noch eine große Pflicht, die ich auf der
gestrigen Karte noch schamhaft verschwieg. Ich muß mein Leben erfüllen.
Du mußt Dir aber keine Gemeinheit denken. Ich bin der glücklichste und
reinste Mensch, der ich früher nie war. Ich weiß erst, was das heißt: sein.
Du darfst auch nicht lachen, weil ich so spät dazukomme und weil ich nun
das behaupte, was ich früher ablehnen mußte. Ich habe mich eben so lange
geirrt und meinen Irrtum hätte auch Dein vernünftigstes Reden nicht richtig=
gestellt. Das muß die eigene Natur korrigieren oder sie verdirbt.
Bitte verlasse Dich aber nicht fest darauf, daß ich jetzt längere
Zeit nicht komme, es ist möglich, daß ich sehr bald bei Euch sitze, wenn
es mich drängt, mit Euch zu reden. Ich weiß ja nicht, wie alles wird,
jedenfalls laßt mir die Freiheit zu kommen und zu bleiben.
Es grüßt Euch bestens Euer
Linke.
Beier hat sich geirrt, wie ich mich geirrt habe. Es ist beinahe eine
Tragödie der Irrungen.