Lucka, Emil: Brief an Rosa Mayreder. Wien, 8.3.1926
Wien, 8/3 26
Sehr geehrte gnädige Frau!
Sie haben, Wagner betreffend,
durchaus Recht: er hat sogar sehr entschieden
homosexuelle Neigungen (also antipolare) gehabt,
und er ist doch, meine ich, durchaus polar.
Das klingt paradox, aber einmal ist, so lautet
eine meiner Grundanschauungen, in Menschen
solcher Dimension alles, oder nahezu alles Menschliche
lebendig, auch jede mögliche Erotik, polare und
parallele. Es handelt sich nur um das Dominierende
– und das ist bei Wagner eindeutig: vom „Liebes=
verbot“, seinem wenig bekannten ersten oder fast
ersten Werk bis zum „Parsifal“ radikale Polar=
Erotik (allerdings in äquatorialer Erhitzung).
Siegfried, Tristan – es gibt keine krassere
polare Einstellung der Liebe.
Die Theorie Goldscheids, die Sie mir
mitteilen, hat etwas sehr Bestechendes, ich meine,
bei W. liegt die Sache so: er hat, das steht