Lucka, Emil: Brief an Rosa Mayreder. Wien, 8.3.1926
dokumentarisch fest – viel unter seiner Sexualität
gelitten – und sich immer von ihr fortgesehnt,
bis er sie im letzten Werk verflucht hat. Seine
theoretische Ansichten über die Liebe, die Sie
anführen, sind, so meine ich, eine Bekämpfung
dieser Triebe, die aber immer nur Wünsche ge=
blieben sind. Übrigens bin ich mit der Deutung
der angeführten Sätze nicht ganz Ihrer Meinung –
was wir hier nicht ausmachen können. Wie seine
Beziehungen zu Mathilde Wesendonk als nicht polar
gedeutet werden können, das verstehe ich freilich
nicht – denn ihnen ist doch unmittelbar die
alles zerstörende Erotik des Tristan entstiegen.
Im übrigen scheinen mir die Begriffe
polar und parallel eine weitere Klärung zu
fordern, sonst redet man an einander
vorüber. Unter den Musikern empfinde ich z. B.
Schumann, unter den Dichtern Rückert als parallel. –
– Ich würde mich herzlich freuen,
einmal mit Ihnen über dies und anderes
plaudern zu dürfen. Auch wiederhole ich meine
Bitte, dass Sie mir denn ermöglichen, jenen
Aufsatz in der Frauen-Zukunft zu lesen, der
mich sosehr interessiert.