Preradović, Paula von: Brief an Franz Karl Ginzkey. Sistrans, 16.7.1923
Sistrans, Tirol, 16. Juli 1923.
Sehr geehrter Herr Ginzkey,
eigentlich sollte ich schreiben Herr Leutnant,
denn ich habe gerade mit der gebührenden
Sommerfrischenverspätung Ihre „Gurula” gele-
sen und sehe Sie im Geist als der blonde
Leutnant, der Sie waren, mit ihren In-
fanteristen hinter dem Fort Cassoni vecchi
exerzieren. Denn Cassoni vecchi muß es doch
gewesen sein, da man zugleich auf die Stadt
und nach Veruda hinunter sah?
Seit Ihre Skizzen „Aus seltsamer Jugend”
in der Freien Presse erscheinen, hat sich eine
wahre Dankesflut in mir gestaut der endlich
ein Ventil geöffnet werden muß. Ich bin so
glücklich darüber, daß Sie mit ihren feinen, zar-
ten Bildern das ewig Versunkene festhalten,
daß Sie als höchlich berufener Erwecker den
verlorenen Zauber, Doppelzauber muß man
sagen, des militärischen Wesens mitten in
der schwermütigen istrianischen Landschaft
noch einmal aufleben lassen. Ich bin sicher,
daß Sie genau so wie ich beim Hören irgend
eines militärischen Hornsignales die ganze Heide
wieder sehen, die Saldamigruben, das „Straf-
haus”, und den Duft von Thymian und
Wachholder spüren. Aber wieviele sehen und spü-
ren es noch? Eine Welt, die war, die lebte
und intensiv lebte, ist ausgelöscht und wird nie