Kienzl, Wilhelm: Brief an Lili Kienzl. Wien, 26.3.1919
verbrachte. Samstag den 22. Regen u. Sturm.
Vmtgs. Kammermusikprobe. Nmtgs. war ich in
der öffentl. Generalprobe des außerordentl. Kon-
zerts der Philharmoniker unter Weingartner
(allein in der Direktionsloge). Es war eine wun-
dervolle Aufführung der 3. Symphonie von Mahler
die mir einen tiefen, ergreifenden Eindruck machte.
Es war ein Erlebnis. - Dann war ich in der „Ura-
nia” (Freikarte) bei einem entzückenden Roseg-
ger=Vortrag mit herrlichen Lichtbildern aus der
Waldheimat, Porträts aus allen Lebensabschnitten
Roseggers, von dessen Familie u. Freunden; dazu
Gesangsvorträge von 4 Sängern, ein= u. 4 stimmig.
Sie sangen steir. Volkslieder, lustige u. ernste,
auch Kunstlieder, u. A. auch von mir: „Schon
fleißig, lieber Goldschmied” u. „Meine Lust ist
leben!” Direktor Jäger hielt den
Vortrag. Es war so ergreifend, das ganze Leben
meines geliebten, unvergesslichen Freundes
an mir in Bild, Wort u. Ton vorüberziehen zu
sehen, dass mir oft die Tränen kamen. Das
hätte auch Dich entzückt. Ich war so versonnen,
dass ich den Abend allein zu Hause verbrachte,
mir ein einfaches Abendessen (schwarze Nockerln mit Kraut)
kochen ließ u. eine - Pfeife dazu rauchte.
Sonntag den 23. war meine 4. Kammermusik Vor-
mittag, die trotz der Absage der Bella Alten (wegen
Heiserkeit) u. des dafür eingesprungenen Tenors
Herrn Hille (wegen Grippe) ganz besonders schön