Preradović, Paula von: Brief an Ernst Lissauer. Wien, 9.4.1930
könnte es wohl haben, ein wilder Rosenstrauch zu sein? Die Centifolienstöcke
daheim in meinem Garten solltest du sehen. Eben habe ich zwei neue be-
kommen. Das sind Nuancen! Gelblich und dunkelrot. Das ewige Rosa dei-
ner Blüten muß dir ja selbst langweilig sein. Und diese schütteren, einfa-
chen Blütenblätter! Nein, nein, mein Lieber, mit dir ist kein Staat
zu machen.“
Der wilde Rosenstrauch erschrak bis ins innerste Herz. So rauhe Worte
hatte er noch nie gehört. „Aber findest du nicht,“ sagte er zum Herrn des
Waldes, „daß meine Blüten lieblich sind? Gewiss, sie sind nur rosa.
Aber die Hummeln und Schmetterlinge, die Finken und Amseln, ja, selbst
die Häher, die Rehe und Hasen, sagen mir immer, daß ich schön bin“.
Da aber wurde der Herr des Waldes richtig böse. „Einfache rosa Blüten
trägt man nicht mehr,“ sagte er, „das ist ganz unmodern. So unmodern
wie ein Volkslied. Und was die ungebildeten Leute hier im Wald betrifft,
so ist es völlig belanglos, was sie sagen. Denn sie verstehen nichts. Aber
ich, der ich gewohnt bin, einen hohen Maßstab anzulegen, ich sage dir,
daß du dich in eine Centifolie verwandeln mußt, wenn du willst, daß
ich Freude an dir haben soll.“ „Ja, aber wie soll ich das machen?“
rief der arme, wilde Rosenstrauch aus und zitterte. Tränen wollten ihm
kommen, aber er war stolz und schluckte sie hinunter. „Ich bin doch
nun einmal eine Heckenrose; daß ich es bin, war bisher mein Ruhm und
meine Freude. Ich glaube nicht, daß ich je eine Centifolie werden könnte.“
„Nimm dich nur zusammen,“ entgegnete der Herr des Waldes. „Man kann
alles, wenn man nur will. Übers Jahr will ich nachsehen, was du geleistet
hast.“
Als er im nächsten Jahr wieder an jene Stelle kam, suchte er vergeblich den Ro-
senstrauch. Weder Centifolien noch Heckenrosen waren zu sehen. Nur ein graues, ab-