Michalek, Ludwig: Brief an Franz Karl Ginzkey. Wien, 23.1.1922
und der man ganz objektiv gegenübertritt, wirkt
ganz eigenartig. - Ich habe mich seither wohl weiter=
entwickelt - bin freier, lockerer im Vortrag, nicht mehr
so ängstlich auf Ausfeilung und strenge Formvollendung
- aber es ist doch ein eigenartiger Reiz um
Jugendarbeiten! - So wird es Ihnen auch ergehen, wenn
Sie gelegentlich in Ihren Jugendwerken blättern. -
Wir haben im Hause auch unsere schlichte Feier im
Gedenken an den großen alt-österreichischen Dichter
gehabt. - Im Festsaal der Realschule hat der
Volksbildungsverein am Sonntag eine Feier
veranstaltet. Prof. Arnold hielt - sehr fein erdacht -
die Festrede. Rosar sprach Einiges aus Sappho.
- Heute war im Rathaus eine Kuratoriums-
sitzung der Schwestern-Fröhlich-Stiftung. - Hofrat
Sauer erzählte von der Eröffnung der hinterlassenen
Schriften Grillparzers, die einer Verfügung folgend,
erst nach 50 Jahren nach des Dichters Tode publiziert
werden sollten. - es ist eine Entäuschung - sehr
wenig, und eigentlich nur schon Bekannntes fand sich
vor. - Kommen Sie nur bald, denn die
Grillparzer-Ausstellung müßen Sie sehen! -
Meine Lieben und ich sind gesund - ich
habe Sie ja leider nicht gesehen, als Sie das letzte mal
bei uns waren - lag krank im Zimmer
nebenan. - Wie gerne möchte ich Ihnen meine
neuen Arbeiten, Studien aus Holland zeigen.
Mein lieber Schwiegersohn Czerwenka wiedmet jetzt
seine wenige freie Zeit dem Aufräumen meines
Ateliers und hat meine Bilder und Skizzen schön auf-
gestellt. Ihr Pastellbild hängt gut neben dem Hermann
Hesses. Bartsch habe ich nicht aufstellen lassen, denn
dieses Porträt ist mir nicht gelungen. - Ich
arbeite jetzt an einer großen neuen Radierung
„Johannes Brahms” - ich will die Radierung
Anfang April am 25ten Todestag des
Tondichters herausgeben. In einer jetzt im Wiener
Künstlerhaus in der Aquarellausstellung habe ich
die Studie zur Brahms-Radierung u. A. ausgestellt.
Von unserem lieben Enkelkind - dem Fritzl -
habe ich ein genrehaftes Porträt auch ausgestellt
es ist farbig und heißt: „Brief an das Kristkind”,
Nikolo und Krampus schauen vom Fenster zu -
auf den kleinen Briefschreiber in weißer Zipfelmütze.